Wiederaufbau (2010-2012)

Auf unserer Reise durch die Jahrhunderte der Geschichte des Rathausturms haben wir es bis zum heutigen Tag geschafft. Es ist Dienstag, der 8. Juni 2010. Am nördlichen Durchgang zum  Mittelbau des Rings haben sich Vertreter der lokalen Behörden, Auftragnehmer der Bauarbeiten des Rathausturm-Wiederaufbaus von der Firma "Budobratex" und Journalisten versammelt. Die Gelegenheit ist nicht unwichtig, denn 43 Jahre nach dem Zusammenbruch des Rathausturms kommt die Stadtverwaltung formell zu seinem Wiederaufbau zusammen. Der Moment ist tragend, denn in ein paar Dutzend oder einigen hundert Jahren wird sich niemand mehr an die im frühen 21. Jahrhundert getätigten sonstigen Investitionen erinnert,  die zwar wichtig für die Stadt sind, nicht aber solch einen geschichtlichen Wert haben.

Während der Zeremonie kann der stellvertretender Oberbürgermeister Świdnicas, Waldemar Skórski, seine Ergriffenheit kaum verbergen. Viele Jahre schon war der Turm im Mittelpunkt seiner Interessen, er war zunächst Mitbegründer und Urheber eines der architektonischen Projekte, dann stellvertretender Bürgermeister der Stadt. Eine Person, die zusammen mit  ihren Mitarbeitern das Projekt des Wiederaufbaus, trotz vieler Steine im Weg, von Fragen in Bezug auf Art des Projektes bis hin zur Architektur, von der Realisierung eines EU-Projekts, ohne das die Restaurierung des Turmes unmöglich gewesen wäre bis zur Beschaffung von Mitteln für den Wiederaufbau, mit vollem Herzen durchgeführt hat.

"Es war eine lange Zeit in der Geschichte der Stadt, in der der Rathausturm nicht über dem Markt hervorragte. Dank der EU-Mittel wird der Turm wieder aufgebaut. Dies ist ein großes Unternehmen für das Bau-Team, da die enge Bebauung diese Aufgabe nicht erleichtert. Wir haben uns für unsere Idee vom Wiederaufbau des Turmes seit vielen Jahren nicht gerühmt, wenn wir auch sehr intensiv über dieses Vorhaben nachgedacht haben. Wir wollten, dass es keine weitere nicht realisierte Initiative sein wird. Jetzt können wir mit Stolz sagen - wir bauen es," sagte Świdnicas Oberbürgermeister Wojciech Murdzek während der Zeremonie.

Noch vor den offiziellen Feierlichkeiten begann man mit der Organisation der Baustelle. Sie umfasste außer dem Innenhof des Ring-Mittelbaus auch ein Stück des nördlicheren Teil des Marktes ohne den Mittelmarktraum, direkt neben der Dreifaltigkeitssäule. Da der „Betriebsverkehr“ des Hofes durch zwei Durchgänge mit einer Breite von etwa 3,0 - 3,5 m und einer geringen Höhe erfolgt - die kleinen Maße sind durch den historischen Charakter der Mittelmarktbebauung begründet -  konnte man das schwere Gerät auf dem Hof nicht einführen. Deswegen plante man den Umbau beider Durchfahrten auf der Nord- und Ostseite des Marktes und es wurde beschlossen, einen großen Baukran auf der Nordseite des Ringes zu platzieren.

Die ersten Bauarbeiten waren mit den Abriss der Mauern und Flachdaches, die nach dem Zusammenbruch des Turms im Jahre 1967 entstanden sind ist und den gotischen Bogen des Turms verbargen, verbunden. Der vorläufiger Schutz erwies sich als äußerst robust und das Bauteam von "Budobrateks" hat es viel Mühe gekostet, den gotischen Bogen zu enthüllen. Auf der Baustelle fanden sich auch Archäologen ein,  die sich diese einmalige Chance, die Forschungen, die in den letzten Jahren auf diesem Gebiet durchgeführt worden waren, abzuschließen, nicht entgehen lassen wollten. Die Ausschachtung im ältesten erhaltenen Teil des Turms zeigte, dass die Fundamente nur eine Tiefe von etwa 1,30-1,50 m hatten, was für den ein Dutzend Meter hohen, ersten mittelalterlichen Turm aber ausreichend war. Das erste Problem, womit  die  Bauherren zu kämpfen haben, war ein gotischer Bogen, der in den neuen Turm integriert sein sollte, aber praktisch die Durchführung der in der Dokumentation vorgesehenen Fundamentarbeiten unmöglich machte. So wurde beschlossen - nach einer genauen Bestandsaufnahme, die die Position der einzelnen Granitblöcken festlegte – den Bogen abzubauen und dann nach der Ausführung der Fundamentarbeiten wieder zusammenzulegen.

Es ist zu erwähnen, dass für die Verstärkung des Bogens und des untersten Teil des Turmes nur 15 Tonnen von Bewehrungsstahl verwendet wurden, die ganz genau den zusammengelegten Bogen verbandanden. Wenn es um die archäologischen Funde geht, war, außer den vielen Daten zum Standort der einzelnen Gebäuden des Mittelmarkts und ihrer Entwicklung, die gewonnen werden konnten, der wertvollste Fund eine kleine mittelalterliche Münze. Außerdem fanden die Archäologen das Fragment einer Kanonenkugel aus der Zeit der Schlesischen Kriege. Ob es diese unglückliche, fatale  Kugel war, die zur Zerstörung des Rathauses im Jahre 1757 geführt hat, wird für immer ein Geheimnis der Geschichte bleiben.

Fast von Anfang an haben auf der Baustelle auch Mannschaften der Elektrizitätsbetriebe gearbeitet. Sie versuchten, ein „Spinnennetz“ von Stromleitungen, die oft nicht katalogisiert waren und von denen niemand wusste, wo sie anfingen und endeten, einordnen. Das Gedränge war beträchtlich, weil auf der Baustelle in diesem Zeitraum auch die Bauzeichner, Experten für Sanitär- und Gas-Leitungen sowie auch Geologen gearbeitet haben. Noch im Juni sind Teile des Krans, der später in der Nähe von Dreifaltigkeitssäule hingestellt wurde, auf die Baustelle geliefert worden. Aufgrund der schlechten Tragfähigkeit des Untergrunds stand der Kran auf vier Stützen, unter die Fundamente von einer Tiefe bis zu 5 Metern gegossen wurden! Der erste Beton wurde Ende Juni 2010, während dem Bau der Fundamentplatte für den Verbindungsbau zwischen Turm und dem Museumsgebäude für Alte Kaufmannschaft genutzt. Im Juni und Juli fand der Umbau des „Spinnennetzes” der Energie- und Sanitär-Leitungen, von denen einige nicht mal in Plänen vermerkt waren, statt.

In den nächsten Monate stellte die Vertiefung der Ausschachtungen für den Bau des Eingangspavillons eine sehr mühsame Arbeit dar. Im August wurde die Demontage des historischen Bogens des Rathausturms vollzogen. Ein Teil der Granitblöcke (ca. 300 Stück), die man früher sorgfältig inventarisiert und nummeriert hatte, wurde gesichert. Anders als es den Anschein hatte, war der Abriss des gotischen Bogens keine einfache Angelegenheit. Eine spezialisierte Firma durchsägte den Bogen an mehreren Stellen, sodass der Abriss möglich wurde. Einige der Granitfelsen konnte man aus den Bogen einzeln entfernen, aber einige lösten sich in Brocken mit einem Gewicht von über einer Tonne. Als man sich Ende August für die Fundamentarbeiten vorbereitete, erschien das als ein enormes Problem, welches den gesamten Bau für mehrere Wochen verzögerte. Nach Durchführung von geologischen Untersuchungen stellte sich zudem heraus, dass man mit dem Gießen der Fundamente für den Turm und den Eingangspavillon nicht anfangen konnte. Sie sollten in Form von 153 Erd-Zement-Pfeilern, die bis zu 9 Meter in den Boden versenkt werden sollten, hergestellt werden. Leider stellte es sich heraus, dass der Untergrund zu wenig Tragfähigkeit hatte und das Konzeptes der Fundamentpfeiler brach zusammen.

Im September wurde die Stahlkonstruktion des Turmhelms in Teilen auf das Gelände der Baustelle gebracht. Die Montage wurde von der Firma "Budstaltest" aus Złotoryja durchgeführt. Die Metallkonstruktion selber wog - eine Bagatelle - fast 16 Tonnen. Weil sie mit Holz verkleidet und mit einem Helm aus Kupferblech ausgestattet für die Montage zu schwer gewesen wäre, teilte man sie in zwei Teile. Ende September wurden endlich die neuen Fundamente entworfen, die von der Firma Keller Polen hergestellt werden sollten. Die Anfertigung von mehr als 50 Fundamentpfeilern, die in den Grundboden bis in eine Tiefe von 7 bis 9 Metern versenkt wurden, hat fast vier Wochen gedauert. Die Pfeiler wurden mit Doppel T-Stahlträgern mit einem Querschnitt von 120 und 200 mm verstärkt. Vorher wurde angenommen, dass der Bau der Fundamentpfeiler etwa 70 Tonnen Zement verbrauchen würde, letztendlich erhöhte sich diese Zahl aber auf rund 120 Tonnen.

Nach Bewältigung der Fundament-Geschichte konnte Ende Oktober das Bau-Team von "Budobrateks" beginnen, die Fundamentplatte des Turms zu gießen. Summa Summarum wurden für dieses Element des Turms mehr als vier Tonnen Bewehrungsstahl verwendet. Die Fundamentplatte selbst hat die Abmessungen von 8,20 x 8, 20 m und eine Dicke von 1,20 m.  Für ihre Anfertigung wurden 80 Kubikmeter Beton verwendet! Das Eingießen der vorbereiteten Bewehrung mit der Betonmasse erfolgte Dienstag, den 26. Oktober. Die Fertigstellung der Platte ermöglichte die abschließenden Ausschachtungsarbeiten für die Vertiefung der Baugrube für Fundamente und Keller des Einganggebäudes. Im November waren die Schalungen der Kellereingangswände des Eingang-Gebäudes fertig und es wurde mit der Rekonstruktion des steinernen Bogens begonnen. Obwohl eine detaillierte Bestandaufnahme durchgeführt worden war, bei der man jedem Granitblock nummeriert und seine Lage im Bogen aufgeschrieben hatte, hatten die Steinmetze ein großes Problem mit dem Zusammensetzen dieses Puzzles: Einige Zahlen, die auf die Blöcke geschrieben worden waren, waren verwischt. Nachdem die beiden Bögen des Turms zusammengesetzt waren, konnte man die Holzschalung und Bewehrung von diesem Teil vorbereiten.

Nach den Problemen mit der Fundamentlegung und dem "Spiel" mit dem steinernen Bogen,  wodurch sehr viel Zeit verloren ging, stand eine scharfer Winterangriff Mitte November der reibungslosen Durchführung des Wiederaufbaus im Wege. Wie es sich herausstellen sollte, Beginn einesextrem harten und langen Winters. Erst Mitte Januar 2011, nach Abschluss der Rüstungsarbeiten, wurden die Kellerwände und die Decke des Einganggebäudes gegossen. Für außen stehende Beobachter schien es so zu sein, dass in der Zeit der nächsten Monate auf der Baustelle nicht viel los war, aber die Wände des Einganggebäudes und des Rathausturms stiegen stetig in die Höhe. Die kontinuierliche Fortsetzung der Belieferung mit Betonmasse (übrigens während des ganzen Baus) sicherten die Firmen Dyckerhoff und Renevis und die  Betonmasse wurde aus  den Betonwerken in Świebodzice und Nowy Jaworów transportiert.

Den Bewehrungsstahl lieferte die Firma Prohutrem aus Zawiercie. Anfang März 2011 hatten die Schalungen und der Bewehrungsstahl des Rathausturms bereits die Höhe des ersten Stocks (fast 5 m) erreicht.

Im August begann man, die Wärmeverkleidung der Außenwände des Turmes und des Eingangsgebäudes mit 15 cm dicker Mineralwolle anzubringen. Es waren auch bereits Fensterrahmen und Eingangstüren montiert worden. Diese wurden von der Firma "Simbud" aus  Wrocław geliefert. Ein fast durchgehend bis Ende 2011 herrschendes schönes Wetter hatte den Bauherren das rasche Arbeitstempo ermöglicht. Im Oktober wurde das Betonieren des Oktogons abgeschlossen. Vor Ende des Jahres 2011 wurden im Eingangs-Pavillon und in den unteren Teilen des Turms Trennwände aufgestellt und Putzarbeiten durchgeführt. Die Klempner begannen mit dem Einbau von Sanitärleitungen. Der Auftragnehmer von diesen Arbeiten waren die Firma "Hydromont" aus Złotoryja,  die Firma "Unitech" von Stanisław Sroka aus Świdnica befasste sich mit den elektrischen Installationen. Auf der Fassade des Einganggebäudes hatte man die Fassadenverkleidung mit dem Sandsteinplatten fast vollständig angebracht. Der Steinbearbeitungsbetrieb "Kawo" von Adam Kasiedczak aus Nowa Wieś Grodziska bei Złotoryja befasste sich mit der Lieferung von  Sandsteinelementen und deren Montage. Die Arbeiten, die mit der Installation von Lüftungs- und Klimaanlagen verbunden waren, leistete die Firma "AP Clima" aus Wrocław.

Anfang Januar 2012 wurde das achteckige Untergestell des Helmes errichtet und der Turm erreichte eine Höhe von 41,36 m. Damit wurden die Betonierarbeiten praktisch abgeschlossen. Aus diesem Grund hat man am 17./18. Januar den jetzt nicht mehr gebrauchten Baukran FM Gru 1355 TLX, der außerhalb des Mittelbau-Raumes des Ringes stand,  demontiert. Die Gelegenheit der Demontage des Krans, zu der der selbst fahrende Mobilkran der Firma " Żuraw Grohmann" aus Gdańsk benutzt wurde, wollte man nutzen, um  das ungefähre Gewicht des Turmhelm-Unterteils zu überprüfen, damit man den richtigen Kran für die Hebung des Helms in einer Höhe von mehreren Metern und mit einer  weit gehenden Auslenkung des Arms zu bestellen. Es stellte sich heraus, dass das Unterteil etwa 15,5 Tonnen wiegt. Die anzubringende Uhr war zu diesem Zeitpunkt schon soweit fertig, erstellt von Uhrmachermeister Waldemar Porwal aus Olsztyn. Sie setzt sich aus vier Zifferblättern mit einem Durchmesser von jeweils 2,2 Metern, dem Uhrwerk, das aus einem System von Zahnrädern besteht, sowie der elektronischen Steuerung dieses Mechanismus' zusammen. Die Minutenzeiger haben eine Länge von 1,10 m und sind mit ihrem Gegengewicht insgesamt 1,30 m lang. Alle Elemente der Uhr, die von außen sichtbar sind, basieren auf ihm ursprüngliches Aussehen vor dem Einsturz des Turms. Das Uhrwerk selbst ist nicht sehr groß. Sein Gewicht überschreitet keine 10 kg. Die Zifferblätter wurden direkt an den Rahmen der großen Fenster (2,5 x 2, 5 m), durch die man das Panorama der Stadt bewundern kann, montiert.. Die Zahlen auf den Zifferblättern weisen eine Größe von 35 cm auf.

Nach der endgültigen Fertigstellung der Arbeiten in Zusammenhang mit dem Anordnen des Stromnetzes und Wärmeversorgungsnetzes und der Erstellung von  Anschlüssen an die entstehenden Objekte, hat man angefangen, innerhalb des Innenmarktgebäudes den Unterboden für den Bau eines Platzes aus Granitplatten vorzubereiten. Das Verlegen  der Granitfläche begann Ende Februar.

Am 27. dieses Monats wurde auf dem Igelturm des Helms eine vorher vorbereitete Kugel mit Erinnerungsstücken, dem Wimpel und einem Stern angebracht. Die Elemente wurden unter Verwendung der Technik "nasses Braun", durch die Gold imitiert wird, von Uhrmacher Waldemar Porwal bemalt.

Montag, den 5. März wurde die Montage des Helms auf dem Rathausturm vollzogen. Dies was ein technisch komplexerer Vorgang, weil ein aus Katowice geholter Mobilkran zwei Teile des Helms in eine Höhe von über 60 Meter hochheben musste. Um diese hochheben zu können, war es notwendig, spezielle Stahlträger und Klammern zu installieren, deren Montage die Entfernung von schon auf dem Turm angebrachten dekorativen Netzen nötig machte.

Die letzten vier Monate, bevor  der Turm für die vollständige Nutzung freigegeben wurde, hat man intensiv für die Fertigstellungsarbeiten genutzt. Im Inneren installierte man die  Lüftungssysteme und montierte Aufzüge, es wurden Putz- und Malerarbeiten durchgeführt. An der Außenfassade wurden die Putzarbeiten abgeschlossen, die Montage der Sandsteinbalustrade auf der Aussichtterrasse, der acht Wasserspeier und anderer Steinmetz-Elemente wurde ausgeführt. Als eines der letzten Elemente wurde auch der Uhr-Mechanismus zusammen mit den Ziffernblättern befestigt.

Die Altstadt von Świdnica hat nach 43 Jahren sein dominierenden Merkmal wieder bekommen.

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