40 Jahre Bemühungen (1967-2010)
Nach dem Sturz des Rathausturms wurde dessen Wiederaufbau von der swidnitzer Stadtverwaltung in den nächsten Jahren nicht besonders und ausdrücklich gefördert. Dies hatte mehrere Gründe. Zu einem war die Rückkehr zu dem Thema Restitution des Rathausturms ziemlich unbequem, da Nachlässigkeit zum Sturz des Turms geführt hatte, weswegen auch nicht die beste Beurteilung der Behörden in Aussicht stand. Darüber hinaus bestand die Frage nach der Finanzierung des Wiederaufbaus. Jahrelange Vernachlässigungen im Bereich der städtischen Infrastruktur und des Wohnungsbaus hatten zur Folge, dass die swidnitzer Behörden sehr viel dringendere Probleme als die Restaurierung des Turms zu lösen hatten.
Wurde das Thema vergessen? Sicherlich nicht von einer breiten Reihe Swidnitzer, die sich an den Turm erinnerten und emotional mit dem Objekt als Symbol der Stadt verbunden waren. Sie hatten nie die Hoffnung aufgegeben, dass er eines Tages wieder aufgebaut würde. Bereits zum Zeitpunkt der Katastrophe erklärten viele Menschen ihre Unterstützung für den Wiederaufbau, auch im praktischen Sinne. Es genügt, Roman Norbert zu erwähnen, der ein Initiator der Absicherung von dem verschonten gotischen Spitzbogen war. In Rahmen einer Bürgerinitiative wurde eine Mauer aus Ziegelsteinen, die den Spitzbogen schützen sollte, hochgezogen, sowie ein Flachdach aus Stahlbetonplatten angebracht. Auf ihm wurde eine gemauerte Balustrade aufgestellt, die in den 80er Jahren abgerissen (sie ist auf den Fotos aus den 90er Jahren nicht mehr zu sehen) und durch ein behelfsmäßiges Holzdach ersetzt wurde.
Außer der Verwischung von den Spuren der Katastrophe taten die städtischen Behörden nicht viel. Unmittelbar nach der Katastrophe wurde zwar bekannt gegeben, dass der Turm innerhalb von 1-2 Jahren wieder aufgebaut werden würde (die Kosten schätzte man auf rund 1,2 Millionen), aber es blieb bei leeren Versprechen. Von Zeit zu Zeit erinnerten die Medien an den Turm, vor allem anlässlich der Jahrestage des Zusammensturzes. Erst Ende der 70er Jahre wurde dank sozialer Initiativen begonnen, über die Notwendigkeit, das Wahrzeichen der Stadt wieder aufzubauen, zu sprechen. Die Frau, die eine öffentliche Diskussion zu diesem Thema initiierte, war die städtische Denkmalpflegerin Christine Juszkiewicz, die in den Schlagzeilen von " Trybuna Wałbrzyska -Tribüne von Walbrzych" (Oktober 1979) darüber informierte, dass das Büro architektonischer Recherchen in Wrocław (Breslau) anfange, historische und architektonischen Dokumente zu sammeln, was technischen Überlegungen zum Wiederaufbau vorausgehen müsse. Sie appellierte auch an alle Personen, die irgendwelche ikonographischen Materialien besaßen, sie dem Projekt zur Verfügung zu stellen.
In den 80er Jahren fand die sicher ernstzunehmenste Aktion der Gesellschaft von Świdnica für den Wiederaufbau des Turms statt. Am 18. November 1983 wurde auf der Sitzung des swidnitzer Regionalvereins die Forderung an die städtische Behörden gestellt, die Maßnahmen für den Wiederaufbau des Turms zu ergreifen. Im Jahr 1984 war das architektonisches Projekt bereits fertig, aber da die gesamte Finanzierung des Baus nicht aus dem städtischen Haushalt zu bezahlen war, wurde beschlossen, eine öffentliche Spendenaktion durchzuführen und swidnitzer Fabrikanten um Hilfe zu bitten. Am 29. Januar 1985 gründete man ein Bürgerliches Komitee für den Wiederaufbau des Turms. Gleichzeitig wurde mit einer groß angelegten Spendenaktion angefangen. Verbreiter der Idee der Turmrekonstruktion war ein swidnitzer Pionier: der Ansiedler Edmund Stepanov, der seit vielen Jahren unermüdlich für dieses Thema auf dem swidnitzer Markt Lobbyarbeit geleistet hatte.
In Rahmen der bürgerlichen Aktionen wurde ein Kalender für das Jahr 1985 herausgebracht, es wurden 25 000 Stück von „Ziegelchen” (Wertspendecoupons) im Nominalwert von 100 bis 10.000 Zloty gedruckt (der Druck erfolgte kostenlos, darum kümmerte sich der Leiter der Druckerei in Świdnica, Ryszard Lange) und auf dem Markt von Świdnica wurde eine Geldbüchse für Spenden hingestellt, die zum Wohle des Volkes von Stanisław Szeleźnik gebaut wurde. Auch Betriebe und Institutionen erklärten ihre Bereitschaft zu Helfen. In den swidnitzer Betrieben für Industrielle Geräte ŚFUP sollte "auf eigene Kosten" ein Turmhelm geschaffen werden, eine Abteilung des woiwodschaftlichen Projektbüros hatte eine kostenlose Grunddokumentation und Kostenkalkulation entwickelt, swidnitzer Handwerker wollten ohne Bezahlung die Installationen und Holzarbeiten im Turm durchführen und die in Świdnica und Wrocław stationierten Einheiten der polnischen Armee und der staatlichen Feuerwehr waren bereit, beim Transport von Materialien zu helfen. Im Jahre 1988 brachte das staatliche Atelier für Denkmalschutz in Wrocław unter der Leitung des Architekten Lech Stanisz die Vorbereitungen der technischen Dokumentation, die als Grundlage die traditionelle Bauweise des Turmes aus Ziegelsteinen und mit Stahlbetondecken hatte, zu Ende.
Leider fiel der wichtigste Teil des gesamten Projekts – die Finanzierung - aufgrund der Krise in den späten 80ern und frühen 90ern in sich zusammen. Der für das Jahr 1990 geplante Baubeginn mit Kosten von 40 Millionen Zloty konnte nicht verwirklicht werden. Die Inflation führte zu einem drastischen Wertverlust der im Rahmen der bürgerlichen Spendenaktion gesammelten Finanzmittel. Nach der Abwertung des Geldes im Januar 1995 hatten die „Ziegelchen” (Wertspendecoupons) schon einen zu großen Wert, um Käufer zu finden, und die Spendenbüchse, die noch nicht einmal ein Jahr vor dem Eingang des Stadttheaters stand, wurde von Randalierern zerschlagen (das Geld konnte gesichert werden).
1992 wurde im Auftrag der städtischen Behörden ein neues Projekt für den Turm, das ausgehend von der Idee des breslauer Projektbüros "Atut", mehr Innovationen in Bezug auf Charakter und Aussehen des Turms vorsah, präsentiert. Das Projekt wurde von einem Team unter der Leitung des Architekten Leszek Szostak entwickelt, in dem sich ebenfalls Waldemar Skórski befand, ein Architekt, der 15 Jahre später – schon als stellvertretender Bürgermeister der Stadt - glücklich den Wiederaufbau des Turmes einleitete.
Die innovative Herangehensweise sah für das Aussehen des Turms eine große Abweichung von dessen traditionellen Abbild - u.a. die Verwendung von Metallgittern an der Fassade des Turms, vier verglaste Außenaufzüge und große Glasflächen, um eine bessere Sicht auf das Panorama der Stadt zu ermöglichen - vor, weswegen das Projekt sehr kontrovers betrachtet wurde. Die Diskussionen darüber, wie der Turm in Zukunft aussehen sollte, dauerten zwei Jahre. Diskussionen, die in der Tat sehr wichtig waren, da sie in der gewisser Weise die verschiedenen Ansprüche an den Turm schildern. Die Traditionalisten wünschten ihn haargenau wie vor der Katastrophe, also wirklich als ein Objekt, das nur die Funktion der Dominanz und architektonischen Ergänzung des Rings, erfüllt. Ein solches Konzept, quasi den Turm vor der Zeit des Absturzes zu rekonstruieren, war Grundlage eines Projektes, das von der breslauer PKZ im Jahre 1988 entwickelt wurde. Eine neuartige Herangehensweise an das Thema, mit sicherlich größerer Nutzung des Objekts, präsentierte das Projekt der Firma "Atut". Es sprach aber wahrscheinlich mehr der jüngeren Generation Swidnitzer zu, die sich nicht mehr an die "alte" Turmform erinnern konnte und für welche die Idee eines voll nutzbaren Turms mit Aussichtsterrassen, Cafés usw. attraktiver schien als für die Traditionalisten.
Obwohl die geänderte Projektplanung im Mai 1994 endlich fertig wurde und der von der Katastrophe verschonte Bogen des fertigen Turmes vermauert war, konnte der Wiederaufbau des Turmes auch diesmal - wieder wegen zu hoher Kosten - nicht umgesetzt werden.
Als zwei Jahre später die Baugenehmigung des Turms ihre Gültigkeit verloren hatte, wurde das Thema für die folgenden fast zehn Jahre fallen gelassen. Die Idee, den Rathausturm wieder aufzubauen, kehrte im Jahre 2008 zurück. Dies war nun realistischer als je zuvor in den vergangenen vierzig Jahren, vor allem aufgrund der Änderung in den Bedingungen, die den finanziellen Aspekt des Unternehmens bildeten: die Gründung des Regionalen Operationellen Programms für die Woiwodschaft Niederschlesien 2007-2013 "Wiederherstellung der heruntergekommenen städtischen Gebiete in Niederschlesien, Maßnahme 9.1
- Wiederherstellung degradierter städtischer Gebiete in Städten von mehr als 10 Tausend Einwohnern ". Es ermöglichte die Finanzierung von Bauprojekten und anderen Investitionen in diesem Bereich mit Mitteln der Europäischen Union.
Nach vorläufigen Schätzungen betrugen die anfänglichen Kosten für den Wiederaufbau des
Turms über 10 Millionen Zloty. Es wurde aber geschafft, sie auf 8,6 Millionen Zloty zu reduzieren.
Letztendlich betrug der Gesamtwert des Projekts in der Planungsphase des Baus und bei der Unterzeichnung eines Vertrages mit dem Marschallamt der Woiwodschaft Niederschlesien am 29. März 2010 8.101.110,09 Zloty, während die Förderung der EU 5.664.233,47 Zloty deckte.
Als Ergebnis einer Ausschreibung für die Durchführung des Projekts und der technischen Dokumentation des Turms, die am 17. April 2009 angekündigt worden war, wurde die Firma "Walas" Sp. z o.o. aus Bielany Wroclawskie, die sich mit Bauprojekten, Stadtpojekten und technischen Projekten beschäftig, beauftragt. Zu diesem Zeitpunkt wurde auch gerade der berühmte Sky Tower-Komplex in Wrocław, das höchste Gebäude Polens, nach Planungen der Firma „Walas” realisiert.
Zum Projektteam zählten die Architekten Zbigniew Walas (Projektant), Krzysztof Wrzos (leitender Architekt), Paweł Sobański und Tomasz Szmit sowie Amelia Czubiel. Die Ausschreibung für die Projektbearbeitung und Dokumentation wurde am 13. Juli 2009 unterzeichnet und schon am 15. Oktober hatte man bereits eine vollständige technische Dokumentation angefertigt. Das schnelle Tempo, in der sie angefertigt wurde, begründet sich auf der Tatsache, dass sich der Investor, also die Stadt Świdnica, wegen der Finanzierung mit Mitteln des Marschallamtes der Woiwodschaft Niederschlesien an einen engen Zeitplan bei der Durchführung dieses Baus halten musste. Zu Beginn des Jahres 2010 begann die swidnitzer Stadtverwaltung damit, die anfallenden Arbeiten beim Wiederaufbau des Rathausturms auszuschreiben. Laut der vorbereiteten Dokumentation sollten die Arbeiten nicht nur die Restitution des Turms selbst, sondern auch den Bau eines Eingang-Pavillons und die Einrichtung des Innenhofes des Ringmittelbaus und die Einrichtung der notwendigen Infrastruktur in Bezug auf Wasser- und Energiesysteme umfassen. Die Ausschreibung wurde am 26. März 2010 veröffentlicht. Es bewarben sich zwei Firmen; wie bei der Ausschreibungsentscheidung am 19. Mai 2010 verkündet, gewann die Firma "Budobratex" aus Legnica, mit der am selben Tag ein Vertrag für den Bau unterzeichnet wurde. Mit der Ausschreibung verringerten sich die erwarteten Kosten um 1,5 Mio. Zloty. Als Bauleiter und als Inspektor für die Bauaufsicht wurden René Maczura und Zbigniew Skąpski ernannt. Die Wahl eines Unternehmens aus Legnica als Auftragnehmer, verbindet- wie einige bemerkt haben werden - auf symbolische Weise die Jahrzehnte vor und nach dem Fall des swidnitzer Rathausturms. Denn im Jahre 1967 stürzte der Turm durch undurchdachte Abbrucharbeiten der liegnitzer Abteilung des Woiwodschaftlichen Unternehmens für Fassadenbau, Ordungs- und Hilfsarbeiten ein und vierzig Jahre später, auch durch eine Firma aus Legnica, sollte er nun wieder aufgebaut werden. Die Altstadt von Świdnica, die wie das sprichwörtliche Schiff ohne Mast aussah, sollte ihr dominierendes Bauwerk zurück erlangen.